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Mit Tanz und mediterraner Ernährung zufrieden älter werden

10. December 2024 · · Interview mit Prof. Dr. med. Reto W. Kressig

Gemäss der DO-HEALTH-Studie, Europas grösster Altersstudie, gehören rund die Hälfte der Seniorinnen und Senioren zu den «Healthy Agers». Was heisst das genau?

Diese gesunden Seniorinnen und Senioren haben keine altersbedingten Leiden, die sie stark einschränken, oder höchstens solche, die sich gut behandeln lassen. Dabei geht es um folgende sechs wichtige Funktionen: Mobilität, Kognition, Hören, Sehen, mentale Gesundheit und Ernährung. Laut der DO-Health Studie hat die Schweiz zusammen mit Österreich den höchsten Anteil gesunder älterer Menschen.

 Ein Schweizer Trumpf! Trotzdem kommt der mentalen Gesundheit in unsere Gesellschaft eine wichtige Rolle zu. Aktuell leben 150 000 Menschen mit Demenz in der Schweiz – Tendenz steigend. Was gibt es bezüglich Hirnleistungen und Ernährung für Forschungen?

Wichtige Ergebnisse liefert die Beobachtungsstudie zur MIND-Diät, die über einen Zeitraum von zehn Jahren durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse lassen sich sehen. Bei strikter Einhaltung dieser Ernährungsweise konnte das Risiko einer Alzheimer Demenz um rund 50 Prozent, bei weniger strikter Einhaltung um rund 30 Prozent reduziert werden – dies im Vergleich zu einer gematchten Kontrollgruppe aus der Normalbevölkerung. Anders als beim Muskel, wo wir bereits nach mehreren Monaten proteinreicher Ernährung positive Veränderungen bzgl. Masse und Kraft sehen, lassen die positiven Hirnleistungseffekte der MIND-Diät aber deutlich länger auf sich warten. 

Erwiesen ist aber, dass eine gesunde Ernährung im Alter die Hirnleistung positiv beeinflussen kann?

Richtig! Die Ernährungsweise scheint vor allem in Kombination mit anderen Massnahmen für die Hirnleistung wichtig zu sein. Dazu gibt es klare Daten aus der FINGER Studie, die bei kognitiv gesunden Senioren mit erhöhtem Demenz-Risiko durchgeführt worden ist. Die MIND-basierte Ernährungsweise war hier Teil einer Gesamtintervention, die auch regelmässiges körperliches und kognitives Training umfasste und von den jeweiligen Hausärzten die effiziente Behandlung von Gefässrisikofaktoren (wie hohen Blutdruck oder hohem Cholesterin) einforderte. Nach zwei Jahren zeigten sich in der Interventionsgruppe eindrückliche signifikante Hirnleistungsverbesserungen. Die Ernährung ist also ein wesentlicher Faktor, wenn es um die Beeinflussung der biologischen Körper-Uhr geht. 

Wenn ich etwas für meine geistige Fitness tun möchte: Welche heimischen Lebensmittel gehören auf die Einkaufsliste?

Ich persönlich orientiere mich hier an der MIND-Diät. Generell bevorzuge ich deshalb die aus der mediterranen Küche als für die Hirngesundheit «günstig» eingeschätzten Lebensmittel. Neben Salat, viel frischem (wenn möglich grünblättrigem) Gemüse und frischen Beeren und Früchten, stehen Geflügel (weisses Fleisch), Fisch, Eier und Milchprodukte (ohne fetten Käse!), aber auch Nüsse und Cerealien als Eiweissquellen auf meiner Einkaufsliste, und natürlich gehört auch eine gute Flasche Rotwein dazu! 

Haben Sie hier allenfalls noch weitere, vielleicht etwas «exotischere» Geheimtipps?

Wilde Heidelbeeren, aber auch Granatäpfel scheinen – zumindest in kleinen Studien – die Hirnleistung ganz besonders positiv zu beeinflussen. Aber auch Fischöle (Omega-3 Fettsäuren), Vitamin D und der als pflanzlicher Extrakt standardisierte Ginkgo gehören wohl in diese mehr oder wenig gut validierte «Trickkiste».  

Nebst der Ernährung gibt es auch weitere Aktivitäten, die nachweislich kognitive Verbesserungen hervorrufen können? Welche sind das?

Die diesbezüglich wirksamsten Aktivitäten sind in der Regel die Kombination von Bewegung mit Hirnleistung: Tanzen, Rhythmik, Musikinstrument spielen. Hier sehen wir sogenannte «Transfer-Effekte» auf die gesamte Hirnleistung. Mit anderen Worten verbessert sich hier nicht nur die spezifische Tanz- oder Instrument-Performance, sondern die Performance in allen messbaren Hirnleistungsbereichen. Auch die sozialen Interaktionen spielen als erfolgreiches Hirntraining eine wichtige Rolle. Diese sind also nicht nur fürs Gemüt gut, sondern eben auch fürs Gehirn. 

Warum reicht das klassische Kreuzworträtsel und Sudoku lösen nicht?

Bei diesen Tätigkeiten sind lediglich Verbesserungen in der effektiv geübten Aufgabe möglich – ohne Transfer-Effekte auf die gesamte Hirnleistung. Ein herausragender Champion-Status im Kreuzworträtsel lösen nützt also herzlich wenig, wenn man an einem unbekannten Billettautomaten vor der Herausforderung steht, sein Trambillett zu lösen. 

Die biologische Uhr tickt für uns alle. Können wir diese durch äussere Einflüsse über einen längeren Zeitraum steuern oder gar austricksen?

Das ist tatsächlich so. Unsere Einflussnahmemöglichkeit auf die eigene biologische Uhr ist viel grösser als bisher angenommen. Der gewählte Lebensstil, wozu auch die Ernährung und die Bewegung zählt, ist hier entscheidend. Damit können wir selbst «schlechte Gene» epigenetisch beeinflussen oder «übersteuern».

Prof. Dr. med. Reto W. Kressig mit 3D-Hirn

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